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Sandtrockenrasen im Rübgrund

Anlage eines öffentlichen Grünstreifens im Gewerbegebiet Nord

Entwurfsplanung Rübgrund
Entwurfsplanung Rübgrund

Die Stadt Griesheim hat mit einer öffentlichen Grünfläche auf dem Grundstück Flur 43, Nr. 256 die Ausgleichsmaßnahme des Bebauungsplans „Rübgrund V“ umgesetzt. Der etwa 15 m tiefe Grünzug dient der Strukturierung und Gliederung zwischen den Gewerbegebieten Rübgrund IV und V und befindet sich am nördlichen Siedlungsrand Griesheims. In der weiteren Nachbarschaft befindet sich der offene Landschaftsraum, der durch landwirtschaftliche Nutzung geprägt ist.

Ausführungsplanung
Ausführungsplanung

Die Erschließung erfolgt über in Nord-Süd-Richtung verlaufende Straßen, die an den Nordring angebunden sind. Das Gelände ist topographisch eben und umfasst rund 3.500m², wobei der Abschnitt zwischen Pfützenstraße und Waldstraße etwa 2550m² aufweist, während der Abschnitt zwischen Waldstraße und Raiffeisenstraße etwa 970m² beträgt. Es handelt sich um den ersten Abschnitt der Umsetzung zwischen Pfützenstraße und Waldstraße, der als durchgängige lineare Vernetzung noch weitergeführt werden soll. Wenige Bäume waren als Bestand vorhanden, die in die Pflanzung von einheimischen und standortgerechten Bäumen und Sträuchern eingebunden wurden. Außerdem führt ein wassergebundener Weg mit Sitzgelegenheiten durch die Grünfläche, die Wiese ist als Sandtrockenrasen (synonym auch Sandmagerrasen) angelegt.


Umsetzung Ausgleichsfläche Rübgrund, zwischen Waldstraße und Pfützentraße Luftaufnahme von Norden 2021
Umsetzung Ausgleichsfläche Rübgrund, zwischen Waldstraße und Pfützentraße Luftaufnahme von Norden 2021

Bei der Bodenart handelt es sich gemäß der Bodenkarte des Hessischen Landesamtes für Bodenforschung um ein Terrassensandgebiet mit Braunerden aus schwach schluffigem bis lehmigem Sand. Dieser nährstoffarme und stark durchlässige Boden eignet sich für wertvolle Sandtrockenrasenlebensräume, der in Anlehnung an die Pflanzengesellschaft der „Griesheimer Düne“ zusammengestellt ist.
Das Naturschutzgebiet „Griesheimer Düne“ befindet sich etwa einen Kilometer südlich des Südrings Griesheims zwischen der L3303 und dem Eberstädter Weg. Das Gebiet hat mit dem August-Euler-Flugplatz seit dem Jahr 2000 den höchsten europäischen Schutzstatus Flora-Fauna-Habitat (Richtlinie 92/43/EWG, „FFH-Richtlinie“) und ist ebenso seit 2004 als Vogelschutzgebiet (Vogelschutzrichtlinie, 2009/147/EG) Natura-2000-Gebiet, einem zusammenhängenden Netz von Schutzgebieten der EU von gefährdeten Arten und ihren Lebensräumen.

Naturschutzgebiet Griesheimer Düne (Schild mit Regeln)
Naturschutzgebiet Griesheimer Düne (Schild mit Regeln)

Bei diesem einzigartigen Lebensraum handelt es sich um Binnendünen, die in der Eiszeit entstanden sind, als Westwinde Sand aus den Kiesbänken des Ur-Rheins geblasen haben. Die Flugsande der oberrheinischen Tiefebene stammen ursprünglich aus den weit entfernten Kalkalpen und wurden allsommerlich mit breiten Schmelzwasserströmen erneuert.
Anschließend entwickelten sich in der waldarmen Nacheiszeit lichtliebende Steppenpflanzen in weiten Teilen Europas. Die „Griesheimer Düne“ ist der Rest dieser nicht vom Menschen überformten Landschaft, daher finden sich hier mit die seltensten Pflanzenarten Deutschlands.
Hier lebt noch die kleine, farblos blühende Sand-Radmelde (Bassia laniflora), die wie andere in weit entfernten Gebieten ihre Verbreitung haben. Zum Beispiel kommt die Sand-Grasnelke (Armeria maritima ssp. elongata) im Binnenland nur sehr selten vor. So geht es auch dem Sand-Steinkraut (Alyssum montanum gmelinii) oder dem ebenso stark gefährdeten Badener Rispengras (Poa badensis), das in Deutschland nur noch hier ein nennenswertes Vorkommen hat.
Der Sandboden zeichnet sich durch einen hohen Kalkgehalt aus, der die Lebensgemeinschaft entscheidend mitbestimmt, macht er doch die Dünenvegetation rasenähnlicher und artenreicher als andere Dünengesellschaften. Nur da das Gebiet lange als landwirtschaftlich minderwertig galt, konnte die Sandtrockenrasen-Pflanzengesellschaft überdauern.
Denn 1840 konnte der Chemiker Justus von Liebig die wachstumsfördernde Wirkung von Düngestoffen nachweisen, aber erst Anfang des 20. Jahrhunderts gelang ihre massenhafte Herstellung, die Ackerbau überall rentabel machte. Dieser Umstand und die Nutzung des Gebietes ab 1874 als Truppenübungsplatz durch das preußische Heer, sowie die Einrichtung des ersten Flugplatzes Deutschlands, trugen dazu bei, daß diese Gesellschaften überlebten, denn heute sind Binnendünen durchgehend aufgeforstet.

Griesheimer Düne mit dem Melibokus im Hintergrund
Griesheimer Düne mit dem Melibokus im Hintergrund

Kennzeichnend ist die Anpassung der vielen Arten an Wärme und Trockenheit. Außerdem sind sie extrem lichtbedürftig und verschwinden immer mehr, wo Mensch und Vieh nicht mehr für offene Plätze sorgen. Nur ihre Genügsamkeit macht sie auf mageren Böden zum überlegenen Wettbewerber. Auf nährstoffreicheren und feuchteren Standorten unterliegen sie anderen Arten durch ihre geringe Konkurrenzkraft.
Das Überleben auf Extremstandorten funktioniert nur durch spezielle Fähigkeiten wie einem tiefen und feinen Wurzelsystem, dessen Ausgestaltung entscheidet, ob sie regenarme Zeiten überdauern oder nicht. Bei vielen Pflanzen magerer und trockener Standorte ist die unterirdische Biomasse im Verhältnis zur oberirdischen sehr groß und dauerhaft.
Selbst benachbarte Baumbestände nehmen den freigehaltenen Flächen ihren Extremcharakter, indem sie den Wind beruhigen, die Luftfeuchtigkeit durch ihren Schatten erhöhen und den Boden mit verwehter Blattstreu Nährstoffe zuführen.

Sandtrockenrasenrenaturierung im Achtundachtzigmorgengewann nördlich Griesheims
Sandtrockenrasenrenaturierung im Achtundachtzigmorgengewann nördlich Griesheims

Die hohe Sonneneinstrahlung verlangt einen Austrocknungsschutz, der beispielsweise bei der Sand-Strohblume (Helichrysum arenarium) durch feine Haare auf den Blättern bewirkt wird. Manche Arten sterben in trockenen Sommern oberirdisch teilweise ab, erholen sich aber wieder und verlegen Wachstumszeiten auf günstige, feuchte Perioden, die sie zum Vordringen nutzen. Auch bei einem Absterben kann sich eine Verjüngung durch die hohe Keimkraft aus älteren Samen und die Geschwindigkeit ihrer Entwicklung schnell wieder einstellen, verbreitet sich doch die Mehrzahl mit dem Wind.
Da nicht alle Arten in Sandtrockenrasengesellschaften sehr alt werden, spielt überhaupt die Regenerations- und Ausbreitungskraft eine große Rolle. Das macht die unaufhörliche Dynamik dieser Pflanzengesellschaft deutlich und ist an einem stetigen mosaikartigen Ortswechsel zu beobachten. Von Jahr zu Jahr verschiebt sich das Gleichgewicht der Arten, ihre einmal errungene Position ist nichts Dauerhaftes.
Das Offenhalten der Landschaft und auch eine maßvolle Erosion als „Verjüngung“ ist folglich die entscheidende Voraussetzung zum Bestand. Überhaupt wurde in früheren Jahrhunderten alle Trockenrasen als traditionelle Bewirtschaftung beweidet und verdanken somit dem Weidevieh ihre Existenz. Dies übernimmt in der „Griesheimer Düne“ die Pflegebeweidung durch Schafe und Esel des Vereins Landschaftspflege Südhessen e.V., die sich ideal in ihren Fressgewohnheiten ergänzen und deren Tritte eine stetige Erneuerung ermöglichen.

Drei Esel in den Griesheimer Dünen, Landschaftspfleger zur Mittagszeit
Drei Esel in den Griesheimer Dünen, Landschaftspfleger zur Mittagszeit

Typisch für die Pflanzengesellschaft, neben frei stehenden Kiefern, die sich als Solitäre durch besondere Wuchsformen auszeichnen, ist das Blauschillergras (Koeleria glauca), das Haar-Pfriemengras (Stipa capillata), das Grauschneidige Federgras (Stipa pennata) und Duvals Schaf-Schwingel (Festuca duvalii). Hier gedeiht auch der Kugelköpfige Lauch (Allium sphaerocephalon), dessen Zierform in Gärten weit verbreitet ist.
Es gibt seltene Moose wie Rhytidium rugosum, aber auch viele Pilzarten, deren Fruchtkörper weniger als 3 cm Durchmesser haben, sowie sogenannte Rentierflechten (Cladonia spec.), die ein völliges Austrocknen überstehen, wie die Gesprenkelte Becherflechte (Cladonia rangiformis) oder die Ast-Rentierflechte (Cladonia furcata ssp. subrangiformis). Weitere Flechten sind: Grubige Bartflechte (Usnea hirta), Blassgelber Schönfleck (Caloplaca cerina var. chloroleuca), Graue Krugflechte (Diploschistes muscorum), Bereifte Schildflechte (Peltigera rufescens) und Physcia aipolia (Blattflechtenart).
Andere seltene Pflanzen sind: Steppen-Wolfsmilch (Euphorbia seguieriana), Sand-Thymian (Thymus serpyllum), Sand-Veilchen (Viola pupestris), Gelber Günsel (Ajuga chamaepitys), Ohrlöffel-Leimkraut (Silene otites), Gewöhnliches Nadelröschen (Fumana procumbens), Acker-Schwarzkümmel (Nigella arvensis), Kegelfrüchtiges Leimkraut (Silene conica), Zwerg-Schneckenklee (Medicago minima) und Sand-Fingerkräuter (Potentilla incana und Potentilla arenaria).

Freistehende Kiefer in der Griesheimer Düne
Freistehende Kiefer in der Griesheimer Düne

Geschützte Vögel sind: Brachpieper (Anthus campestris), Ziegenmelker (Caprimulgus europaeus), Kornweihe (Circus cyaneus), Merlin (Falco columbarius), Neuntöter (Lanius collurio), Heidelerche (Lullula arborea) und Wespenbussard (Pernis apivorus).
Zugvögel, die hier vorkommen, sind: Dohle (Coloeus monedula), Wachtel (Coturnix coturnix), Baumfalke (Falco subbuteo), Wendehals (Jynx torquilla), Raubwürger (Lanius excubitor), Steinschmätzer (Oenanthe oenanthe), Braunkehlchen (Saxicola rubetra), Schwarzkehlchen (Saxicola rubicola) und Wiedehopf (Upupa epops).

Die Stadt Griesheim ist bestrebt diesem besonderen Erbe Rechnung zu tragen und versucht in Ausgleichsflächen kleinräumig eine Rekultivierung der Pflanzengesellschaften. Der Vorteil ist neben dem ökologischen Wert vor allem der geringe Pflegeaufwand des Sandtrockenrasens, braucht er doch keine zusätzliche Bewässerung, um seine farbenfrohe Erscheinung zu behalten.

Wer sich neben der „Griesheimer Düne“ eine solche Wiese ansehen will, braucht nur bis zum westlichen Stadteingang, dort wird die Ausgleichsfläche „Pfarrgasse“ mit der „Griesheimer Mischung“ gerade eingesät.

Naturschutzgebiete August-Euler-Flugplatz (am Siedlungsrand) und Griesheimer Düne
Naturschutzgebiete August-Euler-Flugplatz (am Siedlungsrand) und Griesheimer Düne